★ Über Zeckenrap & Selbstkritik ★

In den Karli-Charts ist es selten zu hören und auch anderswo hat Rap Musik immer noch einen schweren Stand. Natürlich kommt eine Szene in Verruf extrem sexistisch strukturiert zu sein, wenn der allergrößte Teil der medialen Aufmerksamkeit den ewig gleichen, mackrigen Rap Acts, samt ihren schwulen- und frauenverachtenden Inhalten gewidmet wird. Das Rapper_innen Kollektiv TickTickBoom möchte eine Ausnahme zum sexistischen Normalvollzug darstellen und positioniert sich eindeutig gegen patriarchale und faschistische Tendenzen in der Gesellschaft.  Ein Mitglied dieser Crew ist der Berliner Rapper Refpolk, der trotz anstehender Europa Tour sich die Zeit nahm ein paar Fragen für uns zu beantworten.

Du hattest bereits einen Gastauftritt beim Ultrash und warst bei einem Konzert im Archiv am Start, welches vom Verein präsentiert wurde. Bist also kein Unbekannter in der Babelsberger Szene. 😉 Was für einen Eindruck hast du von ihr gewonnen?

An den Gig im Archiv kann ich mich noch gut erinnern. Von meinem Set hat am besten der Song „Arbeit ist scheiße“ funktioniert, was gaaanz vielleicht damit zu tun hatte, dass das Publikum ziemlich punkig war. Mit Leuten aus der Babelsberger Szene hatte ich auch vorher und danach vor allem immer wieder durch Antifa-Sachen zu tun.

Ticktickboom machen nach eigener Aussage „Zeckenrap“ Was darf sich darunter vorgestellt werden?

Wir haben Zeckenrap als Titel gewählt, um die Beleidigung „Zecke“ selbstbewusst einzusetzen. Außerdem klingt es um einiges besser als „Politrap“. Wir sind nicht die einzigen, die Zeckenrap machen, aber was es bei TickTickBoom bedeutet, ist: Musik zwischen Rap und linker Bewegung, mit einer politischen Message und einem schönen Abend gleichzeitig.

Erlebt ihr viele Anfeindungen innerhalb der Szene?

Kaum. Das liegt aber daran, dass wir nur wenig wahrgenommen werden. Bei Anfeindungen kommen meistens Sätze wie „Ihr Linken seid doch auch nicht besser als die Rechten!“ und ähnliche tiefgehende Kommentare. Es gibt aber auch positive Reaktionen von einzelnen Rap-Artists oder Medien.

Ihr habt in Hamburg und Berlin zur „Zeckenrap Gala“ geladen. Beide Konzerte waren bereits einen Monat im Voraus ausverkauft. Profitiert ihr vom derzeitigen „Deutsch-Rap Hype“, oder hat der Zusammenschluss eure Berühmtheit innerhalb der Szene signifikant erhöht?

Von einem „Deutsch-Rap Hype“, wenn es den wirklich gerade geben sollte, profitieren wir nicht. Unser Publikum ist sowohl aktiv in linken Bewegungen, wie zum Beispiel in antifaschistischen oder feministischen Zusammenhängen, hört Punk oder Electro, feiert Rap oder ist einfach offen gegenüber linker Subkultur. Ich glaube, das ist sehr unterschiedlich. Der gemeinsame Nenner ist aber jeden Fall das Interesse an einer linken Message oder zumindest einem Gegenpol zu zum Beispiel sexistischen oder homophoben Inhalten.

Zurück zu dir. Du hast dich ja nicht nur im deutschen rap Kontext connected sondern auch international. Mit wem hast du dich zusammen getan und wie kam der Kontakt Zustande?

Ich habe 2011 in London DJ Malatesta getroffen, der im italienischen Netzwerk Rap Militante Internazionale aktiv ist. Über ihn habe ich Acero Moretti aus Mailand kennengelernt und später bei einem gemeinsamen Konzert auch Lenkin.Hop aus Minsk. Wir haben den Song „They shall not pass“ aufgenommen, um eine antifaschistische Bewegung zu supporten, die über nationale Grenzen hinausgeht. DJ Malatesta, Drowning Dog und die anderen von Rap Militante Internazionale organisieren auch europaweit Konzerte und so haben sie DJ KaiKani und mich nach Mailand und Bologna eingeladen. Dort haben wir Kronstadt aus Barcelona kennengelernt und ich bin auf die Musik von Daisy Chain aus Thessaloniki gestoßen. Daraus ist wiederum der Song „The Future is still unwritten“ entstanden, ein Zeichen in der Krise für eine Welt ohne Kapitalismus und Herrschaft.

Welche Hoffnungen und Wünsche verbindest du damit, mit diesen Menschen zusammen Mucke zu machen?

Es ist für mich sehr wichtig, die verschiedenen Erfahrungen, die wir als Linke oder Anarchist_innen in Mailand, Minsk, Thessaloniki, Barcelona oder Berlin machen, auf Songs zusammenzubringen. Ich hoffe, dass das Menschen inspiriert, sich mehr zu vernetzen und in ihrem Alltag oder ihren politischen Aktivitäten, die Situation in anderen Ländern mitzudenken. Die aktuelle Krise zeigt, dass linke Bewegungen über nationale Grenzen zusammenarbeiten müssen, um sich Standortnationalismus entgegenzustellen und sich zum Beispiel in Deutschland mit den Menschen zu solidarisieren, die in Griechenland unter deutscher Krisenpolitik leiden. Es ist eigentlich eine sehr simple Idee: Wir lernen von einander und supporten uns gegenseitig.

Aktuell steht ja eine Tour mit daisy chain und Kronstadt durch Deutschland  Spanien und Griechenland an. Worauf freust du dich da am meisten?

Ich freue mich total auf alle Gigs und Veranstaltungen. Vor allem bin ich aber natürlich gespannt auf die Dates in Spanien und Griechenland, auf die Leute, die zu den Konzerten kommen und ihre Reaktionen, auf die Begegnungen und Gespräche vor Ort, auf die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten. Ich hoffe, zumindest einen kleinen Eindruck von der Situation in Spanien und Griechenland zu bekommen.

Da es zwischen Fußball Fans und den Hörer_innen von Grauzonenbands gewisse Schnittmengen gibt, beschäftigt uns das Thema öfter als uns lieb ist. Du hast in Johnny Mausers Anti Grauzonen Song „that’s they way we hate it“ ein, wie ich finde, sehr starkes feature beigesteuert. Indem du dich zuerst kritisch mit dem eigenem politischen & identitärem label befasst, um dann glaubhaft von deinem Gegenüber einzufordern er_sie möge ebenfalls reflektieren welche Inhalte hinter dem eigenen (vermeintlich unpolitischen) label stehen. Eine kluge Kommunikationstaktik, die es sich nicht zum Ziel macht, das Gegenüber bloß zu stellen, sondern zum inne halten auffordert. Gibt es inerhalb der Rap Szene häufiger Debatten um grauzonen Phänomene, oder woher kam die Idee zu dem Track?

Freut mich, dass du den Part so siehst, denn genauso ist er auch gemeint. Die Idee kam von Johnny Mauser und es ging von Anfang an um einen Song für einen Sampler zum Thema Grauzone. Der Anstoß kam aber aus antifaschistischen Zusammenhängen und nicht aus der Rap-Szene. Dort wird kaum über Grauzone diskutiert, wobei es immer öfter den Anlass dazu gibt. Flers Patrioten-Release „Neue deutsche Welle“ 2005 war ein solcher Moment, auf einmal war es cool, deutsch und stolz zu sein. Der nationalistische Rapper Dissziplin, den Johnny in seinem Part auch nennt, sagte später ganz offen „Über 60 Jahre sind für mich eine lange Zeit. Wir müssen aufhören nur nach hinten zu schauen.“ Er macht heute Werbung für die Marke „Label 23“. Der Neonazi-Rapper MaKss Damage schließlich war zwar nie ein anerkannter Rapper, aber anders als die meisten rappenden Neonazis hat er zumindest als „normaler“ Rapper angefangen, was ihm auch anzuhören ist. Aber nicht nur das Thema Nationalismus ist ein wichtiger Punkt, auch Sexismus, Homophobie und männliche Härte sind Inhalte, die Anknüpfungspunkte für Faschismus bieten. So wird das aber eigentlich nie diskutiert.

Welche derzeitigen Rap Acts kannst du noch empfehlen, die nicht aus deinem unmittelbaren Umfeld stammen?

Akala ist ein spannender Rapper aus London, der mich durch seine reflektierten und zugleich kämpferischen Texte sehr inspiriert hat. Wenn ich spanisch können würde, könnte ich etwas über Portavoz aus Santiago erzählen, so empfehle ich ihn einfach nur. An Casey aus Paris beeindrucken mich ihr ruffer Style und ihre Songs zu Kolonialismus und Rassismus. Und wer nach weiteren Rap-Artists sucht, die keine Männer sind, findet ganz viele Beispiele auf No Boys but Rap.

Wie bewertest du die Aussage im Song „Undercut Tumblr Blog“ von Zugezogen Maskulin, dass sich im deutschen Rap zu viele Mittelstandskinder tummeln, die  ihre first world problems auf sentimentale und selbstmitleidige Weise vertonen. Fühlst du dich von sowas angesprochen?

Also, ich habe den Song irgendwann einmal gehört und da ist mir die Zeile nicht aufgefallen. Von daher habe ich mich vermutlich nicht angesprochen gefühlt. Was ich zu mir sagen kann: Ich will Menschen mit ihren Ängsten im Alltag ernst nehmen und diese nicht in eine Tabelle einordnen, in denen ihre Probleme je nach Weltlage ab- oder aufsteigen. Der Blick über den Tellerrand ist mir wichtig, unter anderem deswegen bin ich ja nicht nur in Deutschland unterwegs und höre nicht nur Zeckenrap. Wenn mir zum Beispiel Refugees aus dem Camp am Oranienplatz von ihrer Situation erzählen, dann merke ich natürlich, was für krasse Privilegien ich habe. Aber ich mache keinen Stellvertreter-Rap und auch keine abgeklärte Zynismus-Lyrik, wo die eigene Person mit ihren Ängsten verschwindet. Wer die eigenen Probleme vorschnell als banal abwertet, schadet nicht nur sich selbst, sondern verliert auch den Blick für die Zusammenhänge und stellt sich über die Dinge. Und genau das will ich nicht – ich stehe nirgendswo drüber.

Ich bin ein großer Fan von deinem aktuellen Album „über mich hinaus“.  Egal ob es um wertvolle Beziehungen zu anderen geht (Du bist schön), die Frage wie politische Arbeit gemeinsam gestaltet werden kann (Mehr als genug), oder nach Möglichkeiten gesucht wird, in einer hoch beschleunigten Welt eine Atempause ein zu legen (Risse im Granit).  Überall ist eine große Sehnsucht nach einem Ausgleich spürbar. Aber um diesen zu erreichen, wird von allen Beteiligten eine stetige Selbstreflexion erfordert. Symptomatisch hierfür ist die letzte Track des Albums (aufwachsen), in dem ein direkter Zusammenhang zwischen Befreiung und Selbsterkenntnis hergestellt wird. Woran liegt es, dass so viele Menschen zu Selbstkritik scheinbar nicht bereit sind? Haben Sie dazu nicht auch berechtigte Gründe?

Klar. Ständige Selbstreflexion kann auch schnell etwas werden, was sich nur Leute mit genug Zeit und Geld leisten können, die dann mit dieser Selbstreflexion am besten noch ihre Arbeitsleistung optimieren. Mir geht’s dabei vor allem um Ehrlichkeit mit sich und anderen. Anstatt große Reden zu schwingen auch mal zuzuhören, anstatt andere zu belehren, sich auch mal das eigene Unwissen einzugestehen, anstatt immer der Krasseste sein zu wollen, auch mal offen mit Fehlern umzugehen. Dem steht vieles im Weg: Männlichkeit, Angst davor, verletzbar zu sein, Wettbewerb und Konkurrenz, eine Gesellschaft, in der wir durch Understatement keinen Job bekommen. Vielleicht ist es naiv, aber ich denke, dass uns Selbstkritik dabei hilft, ein Zusammen zu entwickeln, mit dem wir die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern können, die genau dieses Zusammen immer wieder zerstören. Selbstreflexion klingt natürlich irgendwie nach Uni, aber so verstehe ich das gar nicht. Wenn wem ein besseres Wort einfällt, bitte Bescheid sagen!

Was werden die Themen des nächsten Albums sein? Wann dürfen wir damit rechnen? Stehen schon Gastauftritte fest?

Ich fange gerade an, die ersten Texte für ein neues Album zu schreiben und die ersten Beats zu sammeln. Von daher steht noch ziemlich wenig fest. Aber ich bringe mit Pyro One von TickTickBoom in den nächsten Monaten eine EP raus, auf der wir wieder auf gute alte Sample-Beats rappen!

Danke für dieses Interview, Gruß an die crew and keep up the good work! Wir empfehlen auf jeden Fall noch das sehr schöne Album „Über mich hinaus“, welches z.B. hier bei Black Mosquito erworben werden kann und schaut auch unbedingt bei der Tour vorbei. Z.B. am 23. Feb. im Black Fleck!

weitere Daten:

21. Feb Leipzig – Zoro

22.Feb. Berlin – Jockels Garten

23.Feb. Potsdam – Black Fleck

27.Feb. Hamburg – Rota Flora

28.Feb. Göttingen – T-Keller

01. März Muelheim – AZ

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