Ist Neustrelitz eine Reise wert? Zumal eine Fußball-Auswärtsfahrt? Auch nach dem heutigen Besuch in Mecklenburg weiß ich das nicht so recht zu beantworten. Die Neustrelitzer*innen und allen voran das Team Green – oder hier vielmehr die Schwarzgepanzerten – hatten allem Anschein nach jedenfalls richtig Angst vor dem Babelsberg-Möbchen. Mit einem Schlüssel von mindestens 1:1 wurden die SVB-Fans zum Spiel beim Tabellenführer der Regionalliga Nord begleitet. So geriet für mich persönlich der sportliche Anteil an diesem Ausflug ins Grüne zur Nebensache.
Das Spielgeschehen ist im Grunde auch schnell wiedergegeben: Die in rot aufgelaufenen Nulldreier*innen spielten in der Anfangsphase gut mit, Torchancen waren aber auf beiden Seiten Mangelware. In der 29. Minute paßten die Babelsberger*innen jedoch einmal nicht auf und schon war der Ball im Tor. Neustrelitz legte gleich noch nach. Die Partie war vorentschieden. Mit dem 3:0 Endergebnis ist Nulldrei zwar die große Klatsche erspart geblieben, ärgerlich ist die Niederlage trotzdem. Vor allem wenn mensch betrachtet, durch welche individuellen Fehler die Gegentore zustande gekommen sind.
Die Stimmung wurde vom Geschehen auf dem Platz aber gar nicht so sehr getrübt, wie mensch denken würde bzw. ich es schon oft erlebt hat. Es war allerdings sowieso nur ein „harter Kern“ der Fanszene mitgefahren, der sich beim angehenden Aufsteiger nicht viel ausrechnete. Die Gruppe der Zugfahrenden war schon recht übersichtlich, wie am Berliner Hauptbahnhof festzustellen war. Schon dort waren mindestens so viele Schutzmenschen auf dem Bahnsteig wie Fans. Im Zug selbst änderte sich lediglich eine Kenngröße: die anderen Mitreisenden. Wegen Ferienbeginns mußten wir uns zwischen Koffern, Fahrrädern, Kindern und Großeltern quetschen. Nach etwas mehr als einer Stunde entstiegen wir dem Regio und wurden freundlich in Neustrelitz begrüßt. Und das von wem? Na klar, von der Polizei. Die hat keine Mühen gescheut, eine Lautsprecherdurchsage vorzubereiten, wonach wir uns willkommen fühlen sollen, sogleich gemeinsam (!) den Fußweg zum Stadion antreten würden und daher bitte nicht mehr zurück in den Bahnhof gehen sollten. Gelockt wurde auch noch mit der Information, daß es am Stadion Getränke und Toiletten gebe.
Gutgläubig wie wir Nulldreier*innen so sind, ging es also los. Und wir stellten fest: Neustrelitz ist gar nicht so klein und dörflich, wie gedacht. Der Weg bzw. die Wagenkolonne und der Wanderkessel der Polizei führte uns vorbei an Senior*innen-Heimen, sonstigen Pflegeeinrichtungen, einem Schloss samt Schlosskirche, ’nem recht großen Theater, weiteren Palais und Villen und schließlich in ein Waldstück, indem sich die – sagen wir im Bau befindliche (Stichwort Flutlicht, Gegengerade, Toiletten) – Spielstätte der TSG befindet. Menschen trafen wir dabei eigentlich nicht, dafür mindestens eine mysteriöse Botschaft von Menschenhand.
Am Stadion angekommen gab es erst mal Gesprächsbedarf – über die Gestaltung der Eintrittspreise. 10 Euro für ’nen Steher in der Regionalliga ist ja wohl leicht übertrieben! Nach ’ner Runde Chillen auf dem Grün vor dem Gästeblock samt veganer Wurst und Student*innenfutter sahen das auch die Gastgeber*innen ein. Also schnell rein, Fahnen auspacken und noch wenige Minuten auf den Anstoß warten. Die vertrieben sich die Anhänger*innen der TSG übrigens mit Bespaßung durch ihr Maskottchen „Mecki“, einem geschlumpften Ochsen.
Der auf etwa 200 Menschen angewachsene Gästeblock ließ sich von dem Ungetüm nicht ablenken und legte mit schönem Gesang los. Nach einem ersten Vorstoß der Nulldreier*innen auf dem Platz wurde aus dem Lalala gleich ein „Schieß ein Tor für uns“. In der ersten Halbzeit folgten nur noch wenige Lieder. Und das nicht, weil nach dem Rückstand alle die Lust verloren hatten, sondern allen voran die Ultras endlich mal minutenlang die schönen Babelsberg-Songs durchsangen. So eine kurzweilige Halbzeit hab ich schon lange nicht mehr erlebt. Danke dafür, liebe Nordkurve!
Hälfte zwei begann ebenso schön, nach dem dritten Tor ging die Motivation aber runter. Nicht wenige feierten trotzdem mit „Nous sommes Babelsberg“. Als ich gegen Ende nur mal kurz auf eines dieser reudigen Dixi-Klos verschwinden mußte, hörte ich allerdings „Kotzen durch die Nase“. Aber mal ehrlich: Dieses Niveau ist doch weder repräsentativ für die Nordkurve noch für das Spiel der Nulldreier*innen heute. Die haben sich immer noch bemüht, mehr war heute aber einfach nicht drin.
So hieß es also mit der Niederlage im Gepäck und der Hoffnung auf ein besseres Spiel der Nulldreier*innen in Schöneiche beim Pokal-Halkbfinale am Mittwoch die Heimreise anzutreten. Aber auch die wird dem gemeinen Fußballfan unnötig erschwert. Während ich auf der Anreise zum Stadion noch die massive Polizeipräsenz abtun konnte, haben diese Gepanzerten jetzt nur noch genervt. Denn wir durften selbstverstädnlich nicht einfach zurück in die Stadt gehen. Erst mal mußte die Quote erfüllt werden: Zwei Leute wurden rausgezogen, um deren Personalien festzustellen. So standen wir von allen Seiten umringt von Bereitschaftler*innen mindestens 20 Minuten vor dem Gästeblock und machten uns ernsthaft Gedanken, ob wir den angepeilten Zug noch schaffen würden. Als wir uns endlich fortbewegen durften, blieb es bei der „Begleitung“ von allen Seiten. Abgefilmt wurden wir auch noch. Etliche Polizeiwannen blockierten die Straße, wir durften nur den Fußweg benutzen, obwohl null Autoverkehr herrschte. Die Schikane wurde am Bahnhof getoppt: Der Zugang zum Bahnhof war mit Absperrband der Polizei versehen, davor begrüßte uns die nächste Hundertschaft. Wieder hieß es warten. Dann die Durchsage, daß wir in zwei Minuten zum Zug gehen können. Auf Nachfragen, ob wir irgendwo etwas zu Essen und zu Trinken kaufen könnten, oder eine Toilette aufsuchen, wurde nicht reagiert. Nach weiteren etwa fünf Minuten durften wir dann in den Zug – wie bei der Hinfahrt aber nur in ein Abteil.
Ich bin dieses Jahr nun zum ersten Mal auswärts mit dem Zug zum Spiel gefahren und war schwer erschrocken ob des Polizeieinsatzes. Der hatte wohl nur sehr bedingt mit Neustrelitz zu tun. Der Ort und sein Fußballverein könnten durchaus eine Reise wert sein. Bei dem Drumherum, das die Polizei veranstaltet hat, vergeht mir allerdings selbst ein harmloser Trip zur Mecklenburgischen Seenplatte. Es gab keinen Grund für das massive Aufgebot an Bereitschaftler*innen, für die Einschränkung unserer Bewegungsfreiheit, das ständige Abfilmen und andere Grundrechtseingriffe wie die Verweigerung der Nahrungsaufnahme oder Toilettengänge. Die Schutzmenschen an sich waren zwar recht entspannt, aber allein schon ihre zahlenmäßige Präsenz war heute mehr als übertrieben. Solch ein Vorgehen darf nicht zur Gewohnheit werden. Allerdings habe ich das Gefühl, daß es längst so ist. In einer Gruppe zu einem Fußballspiel anzureisen, ist vollends kriminalisiert. Es schreckt Leute ab und das soll es wohl auch. Wir als Babelsberger Fanszene sollten diese Rechtsverletzungen nicht einfach hinnehmen!
Gastbeitrag von Tania, Brigata Amaranto