„… Selbstkritik ist Lebensluft“ [Rosa Luxemburg]

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Wir dokumentieren an dieser Stelle den Flyer der gruppenlosen supportenden FrauenMädchenTrans* aus der Nordkurve, der beim Spiel gegen den Berliner AK am 7. März verteilt wurde. Die Bilder sind von der Seite des Filmstadtinferno ’99.

“… Selbstkritik ist Lebensluft”

Vielleicht ist euch aufgefallen, dass am 07.03.2014 irgendetwas anders war als sonst. Ihr seid nicht ins “Karli” gegangen, sondern ins Rosa-Luxemburg-Stadion. Darüberhinaus wurde ein neues Banner an den Zaun der Nordkurve gehangen. Gut, das fällt nun wirklich kaum auf, da kaum eine_r von uns mitrkiegt, was vorm Zaun passiert. Dieser Text soll´s erklären.

Am 8. März war Frauentag!

Das wollen wir zum Anlass nehmen um hier ein paar Worte loszuwerden.

Es ist wirklich schön und das kann immer wieder betont werden, dass es viele Frauen* in der Nordkurve gibt, die sich wohl und akzeptiert fühlen können. Dennoch passiert es häufig, dass dieses Wohlfühlen sich reduziert – nicht nur aus weiblicher Perspektive. Kritik gab es beispielsweise an mackrigem Verhalten schon oft, ob im Ultra Unfug oder anderen Kurvenkommunikationsmitteln. Leider blieb die Kritik bisher unkommentiert, undiskutiert und vorallem war sie nicht nachhaltig. Die damit einhergehenden Veränderungen schienen auszubleiben.

Wir wollen die Aktion dazu nutzen eine nachhaltige Diskussion anzuregen und dazu aufrufen das Thema Frauen* in der Kurve zu sensibilisieren. Zur Erklärung sei zu erwähnen, dass all diese Aktionen nicht von Typen gemacht/gedacht wurden um symbolisch eine Antisexistische Kurve darzustellen, sondern uns geht es darum auch als gruppenlose supportende FrauenMädchenTrans* Positionen klarzustellen und wahrgenommen zu werden. Vielen lieben Dank aber an dieser Stelle für die Unterstützung bei unserem Vorhaben!

Wie kommts?

In der Vergangenheit kam bei einigen der Wunsch auf sich einerseits aktiv in die Kurve einzubringen, ohne jedoch gleich in einer Gruppe sein zu wollen oder als eigenständige Gruppe zu agieren. Bei der Frage wohin der gewünschte Aktionismus wohl ginge und wie wir die Kurve als klar männlich dominierten Bereich wahrnehmen, kam schnell der Gedanke in die Kurve hinein zu intervenieren ohne den Zeigefinger zu erheben.

Was es für uns ausmacht, Fussballfan/Ultra zu sein:

gemeinsam den selben Verein zu supporten, sich zusammen über drei Punkte freuen, aber auch gemeinsam traurig sein, sich ärgern, wenn´s mal nicht so läuft, sich im Stadion zur Gesamtscheiße zu positionieren, Emotionen zeigen, auch mal Angst haben, gemeinsam party machen, die gleiche musik feiern. In guten und in schlechten zeiten im Stadion stehen – darum geht es! Bestenfalls auch die Tage und Wochen zwischen den Spieltagen gemeinsam gestalten.

Dennoch ist es manchmal ein komisches Gefühl in der Kurve zu sein, als Frau* und vorallem als Person, die (bewusst) in keiner Gruppe aktiv ist. Damit ist mensch in keine feste Struktur eingebunden und es ist nicht immer klar wie sie funktionieren. Das ist aber auch okay, solange das nicht zum Vorwurf wird. Komisch ist aber damit konfrontiert zu werden, ‘Freudin von’ zu sein oder den Druck zu verspüren das eigene Interesse an Fussball – und allem was dazu gehört – stärker rechtfertigen zu müssen, als männliche Genossen.

Der Umgang in der Nordkurve scheint auf den ersten Blick harmonisch, es macht Spaß auswärts im Zug zu sitzen und ein bisschen rumzualbern. Miteinander Quatsch machen ist super, aber nicht den Quatsch, bei dem Andere übergangen werden oder Einzelne für Konsequenzen für alle sorgen.

Das passiert echt häufig, sei es durch übermäßigen Alkoholkonsum oder dynamische Gruppenprozesse. Was in diesen Situationen am meisten nervt, ist diese Ignoranz gegenüber einer Kritik. Wenn blödes Verhalten in jenen Momenten angesprochen wird, ist es wie gegen eine Wand zu reden oder noch schlimmer, mit noch blöderen Sprüchen abgespeist zu werden. Wenn es laut durch die Bahn tönt “Saufen is geil” ja dann ist es manchmal peinlich Teil dessen zu sein. Dann ist es nicht nur unangenehm daneben zu sitzen, sondern es bestätigt das Klischeebild von “ein Fussballfan sei versoffen, laut und prollig” und Fussball eben nix für Frauen*. Dem ist doch aber absolut nicht so und das möchten wir nicht ständig bestätigt sehen und in der Außenwelt auch nicht immer anders rechtfertigen müssen. Nicht allzu selten fühlt es sich dann an wie ein innerlicher Spagat zwischen einerseits wirklich dummdeutschem männlichen Prolloverhalten, wie wir es sonst ablehnen. Und andererseits eine Kurve voller Menschen, mit denen wir uns wohlfühlen und wissen, dass sie doch sonst eigentlich nicht so sind. Hinzu kommt, dass ein Bild eines mackrigen, sportlich versoffenen Typen als Vorbild an den Kurvennachwuchs transportiert wird.

Vielmehr wollen wir gemeinsam hinter einer politischen Idee stehen und inakzeptable Vereine ausbuhen, deren menschenverachtenden Positionen widersprechen und klare Statements formulieren. Klar wollen wir auch zusammen feiern. Jedoch schreckt es uns ab wenn dann hin und wieder die Ansprüche Einiger mit Ausrastern, lauter Stimme, ignoranten Aktionen oder Fachgesimpel durchgesetzt werden.

Es ist extrem schwer Entgleisungen von Einzelpersonen hinzunehmen, gar zu ignorieren. Wir nehmen wahr, dass Konflikte untereinander oft unzulänglich bewältigt werden. Dass die Auseinandersetzung mit Empfindungen von Genoss_innen nicht einmal ansatzweise so respekt- und verständnisvoll stattfindet, wie es in einer linksalternativen, solidarischen Kurve zu erwarten wäre.

Emotional reagieren ist immer besser als Frust in sich hineinzufressen, doch sollte bedacht werden, dass dabei Menschen eventuell unnötig verletzt werden, Grenzen überschritten werden und nachträgliche halbherzige Entschuldigungen die tiefen Wunden der Beschimpfungen auch Monate später nicht heilen können.

Es ist auch klar, dass nicht immer alle mit Allen können. Jedoch sollte versucht werden füreinander Verständnis aufzubringen.

Unsere Fußballkurve ist ein so bunt gemischter Haufen mit unterschiedlichsten sozialen und ökonomischen Hintergründen, alle sollen sich wohlfühlen können. Wir wollen nicht die gesamte Szene umkrempeln, sondern nur, dass ein offenes Ohr oder die Bereitschaft zum Nachdenken gegeben ist, wenn der Wunsch geäußert wird, dass die T-shirts bei Sonne und Hitze anbehalten werden oder dass der Alkoholkonsum nicht lautstark abgefeiert wird. Bevor losgemeckert wird, einfach mal kurz inne halten und überlegen was die Person gegenüber meint oder nachfragen.

Engagierte Supporterinnen aus der Nordkurve.

Frauen* = Die Schreibweise der Wörter Mann* und Frau* mit diesem Sternchen dahinter soll vorallem verbildlichen, dass Männer und Frauen gesellschaftliche Konstrukte sind. Das Sternchen kann auch als Mitdenken und Platz für queere Verortungen gesehen werden.

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